Agranulozytose – lebensgefährlich und weithin unterschätzt

Der Mangel an Granulozyten, einer der drei Arten weißer Blutkörperchen, verursacht die Agranulozytose. In Europa erkranken jedes Jahr zwischen 1,6 und 9,2 Menschen pro einer Million Einwohner an der Krankheit. Ursachen sind nicht erkannte Risiken bestimmter Medikamente und schlechtes Monitoring von Blutwerten. Bei Ausbrechen der Krankheit besteht Lebensgefahr, eine Therapie ist – rechtzeitig eingesetzt – verlässlich möglich.

Blutzellen
Blutkörperchen © royaltystockphoto – Fotolia.com


Im menschlichen Blut existieren drei Gruppen von weißen Blutkörperchen. Diese drei Gruppen weisen unter dem Mikroskop unterschiedliche Erscheinungs-Formen auf. Neben Monozyten und Lymphozyten sind Granulozyten in verschiedenen Varianten an der Immunabwehr des Menschen beteiligt.[hr style="single"]

Verminderte Immunabwehr bei Agranulozytose

Granulozyten treten ihrerseits in drei Untergruppen auf. Als neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten vernichten sie Mikro-Organismen und Parasiten. Außerdem beeinflussen sie entzündliche Reaktionen des Körpers auf Eindringlinge.

Fällt die Zahl der Granulozyten auf einen Wert von unter 3.000 Zellen pro Mikroliter Blut, spricht der Arzt von Granulozytopenie. Die schwerste Form dieser Krankheit heißt Agranulozytose. Bei diesem Befund liegt der Wert der weißen Blutkörperchen unter 500 Zellen pro Mikroliter Blut. Ein gesunder Mensch besitzt zwischen 4.000 und 10.000 dieser Zellen auf einen Mikroliter Blut.

 

Zwei Hauptursachen von Agranulozytose

Die häufigste Ursache von Agranulozytose ist eine Unverträglichkeit für bestimmte Medikamente. Dazu zählen

  • Thyreostatika wie Thiamazol, Carbimazol,
  • Antibiotika wie Penicillin, Metronidazol,
  • Antipyretika wie Phenylbutazon,
  • Analgetika wie Metamizol, Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen,
  • Neuroleptika,
  • Antiarrhythmika,
  • Antiepileptika,
  • Kardiaka,
  • Magen-Darm-Medikamente wie Cimetidin, Metoclopramid
  • Psychopharmaka wie Clozapin, Fluoxetin

Regiert der Körper auf eines dieser Medikamente besteht eine allergische Agranulozytose. Diese Variante nennt der Mediziner Typ-1-Agranulozytose. Sie tritt als akute Erkrankung auf.

Wer Zytostatika einnimmt, läuft ebenfalls Gefahr, an Agranulozytose zu erkranken. In diesem Fall liegt keine allergische Reaktion vor. Die Krankheit entsteht durch die proliferations-hemmende Wirkung dieser Medikamente. Das heißt, sie verhindern das Wachstum neuer Granulozyten. Eine dritte seltenere Ursache für Agranulozytose ist Osteomyelofibrose. Dabei handelt es sich um eine Störung der Blutbildung im Knochenmark. In den beiden letzteren Fällen liegt eine Typ-2-Agranulozytose vor. Sie macht sich nach und nach bemerkbar.

Zwei Sonderfälle bilden die infantile und die zyklische Agranulozytose. Ersteren nennen die Experten Kostmann-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine Erbkrankheit. Die Zahl der neutrophilen Granulozyten ist zu gering. Bei der zyklischen Form der Krankheit besteht in zeitlichen Abständen ein Mangel an weißen Blutkörperchen.

 

Symptome und Krankheitsbild der Agranulozytose

Der Mangel an weißen Blutkörperchen bewirkt anfangs ein schlechtes Allgemeinbefinden und ruft Fieber hervor. Patienten fühlen grippeähnliche Symptome und leiden unter Schüttelfrost. Dazu kommen anschließend geschwollene Schleimhäute und Nekrosen im Hautbereich. Teilweise treten Lymphome auf.

Häufig verläuft die Krankheit dreistufig:

  • Fieber,
  • Mandelentzündung,
  • Mundfäule.

Weiterhin möglich sind Entzündungen im Genital- oder Analbereich sowie Pneumonien. 60 Prozent der Patienten entwickeln ohne Behandlung eine Blutvergiftung. Diese Krankheits-Symptome bedingen eine gründliche Körperhygiene, um weitere Erkrankungen und Ansteckungen zu verhindern.

 

Agranulozytose feststellen und behandeln

Die Krankheit stellt der Arzt einfach und zuverlässig durch ein differenziertes Blutbild fest. Abgesehen davon erstellt er eine Liste aller Risiko-Medikamente, die die allergische Form von Agranulozytose auslösen. Um das Vorliegen einer nicht-medikamentös verursachten Variante auszuschließen, nimmt er gegebenenfalls eine Gewebeprobe aus dem Knochenmark.

Bei der allergischen Form besteht die entscheidende Therapiemaßnahme darin, Risiko-Medikamente abzusetzen. Diese ersetzt der Arzt durch erwiesenermaßen nicht schädliche Wirkstoffe. Ergänzend behandelt er die Erkrankung mit Breitband-Antibiotika. Sie bekämpfen die fiebrigen und entzündlichen Begleitumstände der Agranulozytose. Im Ergebnis sterben in Europa etwa fünf von hundert der Erkrankten. Dies bedeutet einen Rückgang um rund 15 Prozent im Verhältnis zum Ende des vorigen Jahrhunderts.

 

Der Zeitfaktor spielt eine große Rolle

Bei der allergisch bedingten Variante der Erkrankung machen sich die Folgen in vielen Fällen schnell bemerkbar. Wenige Dosen eines Risiko-Medikaments genügen, um schwere Krankheits-Symptome hervorzurufen. In diesem Fall kommen die Therapie-Maßnahmen zu spät und Todesfälle durch multiples Organversagen sind nicht auszuschließen. Der Typ zwei verläuft langsamer und die Chance einer rechtzeitigen zutreffenden Diagnose ist größer.

 

Risiko-Faktoren für eine Erkrankung an Agranulozytose

Trotz verbesserter Beobachtungs-Methoden erkranken in Europa nach wie vor zwischen ein und neun Menschen pro einer Million Einwohner jährlich. Eindeutig identifizierte Risiko-Faktoren für den allergisch bedingten Typ 1 sind hohes Alter und die Einnahme von als risikoreich eingestuften Medikamenten. Inwieweit Geschlecht und Rasse die Gefahr zu erkranken beeinflussen, ist Gegenstand intensiver Diskussionen.

Risiko-Medikamente stellen weiter ein Problem dar

Ein Grund für die konstant bleibende Zahl der Neu-Erkrankungen ist die Unkenntnis vieler Ärzte bezüglich der Nebenwirkungen bestimmter Medikamente. Dazu kommen eine unzureichende Beobachtung von Patienten und eine zu späte Diagnose der Krankheit.

Vielfach entsprechen die gesetzlichen Vorgaben nicht den erkannten Risiken bestimmter Arzneimittel. Mittlerweile bestehen umfangreiche Listen von Arzneimitteln, die Agranulozytose auslösen. Bei deren Verabreichung ist eine genaue Überwachung der Leukozyten angezeigt. Dies fordert der Gesetzgeber in seltenen Fällen.

Beobachtungen zur Erkrankungen und deren Verlauf zeigen, dass ein erhöhtes Risiko bei sogenannter Ko-Medikation vorliegt. Dies bedeutet, dass mehrere Risiko-Medikamente nebeneinander die Chance erhöhen, an Agranulozytose zu erkranken.

 

Die genauen Wirk-Mechanismen liegen vielfach im Dunkeln

Obwohl die oben genannten Medikamente und viele weitere als mögliche Verursacher feststehen, besteht über die zugrunde liegenden Mechanismen Unklarheit. Erschwerend für die Grundlagen-Forschung kommt hinzu, dass durch parallel verabreichte weitere Medikamente keine verlässlichen Ergebnisse zu erhalten sind.

 

Agranulozytose bleibt gefährlich, aber beherrschbar

Wer Risiko-Medikamente im Hinblick auf Agranulozytose einnimmt, ist gut beraten, regelmäßige Blutbild-Kontrollen einzuhalten. Dazu kommt eine aufmerksame Selbstbeobachtung. Solange keine ausreichenden gesetzlichen Maßnahmen existieren, besteht für Ärzte und Apotheker eine besondere Sorgfalts- und Aufklärungspflicht bei Arzneistoffen, welche die Krankheit auslösen.

Die allergische Variante bedingt schnelles Handeln. Dies bedeutet die Gabe von risikofreien Antibiotika und das Absetzen der Verursacher. Ältere Menschen und Patienten, die mehrere Risikostoffe einnehmen, sind zusätzlich gefährdet.

 

weiterführend:

https://www.leukozyten-info.de/agranulozytose-verminderung-der-granulozyten.html

http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=29407

http://www.medical-tribune.de/medizin/fokus-medizin/artikeldetail/aufklaerung-ueber-agranulozytose-gefahr-verbessern.html

http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000002434/4_kapitelDisk.pdf?hosts=